Leseprobe Schattenrausch

Die Zauberschmiedin Teil 2

Schattenrausch

 

Schattenrausch
Schattenrausch

Prolog

 Am Anfang aller Zeiten

Irgendwo im Norden des jungen Eisenlandes

 

Noch immer hatte der junge Alboze die Stimme seines Herrn im Ohr, die allzu gewaltig und fast grausam in seinem Geist tobte. So schnell er konnte, versuchte er, viele Meilen zwischen sich und die schwarze Vulkanfestung Dolmork zu bringen. Als Lichtgestalt schwebte er glitzernd durch die luftigen Sphären der noch jungen Welt. Seitdem er in den Diensten des mächtigen Feuergottes stand, hatte sein heiliger Seelenstoff sehr gelitten. Es grämte ihn, da DAS EINE es aus sich selbst gerissen hatte, um ihn und die einhundertdreivierzig anderen Albozen zu erschaffen. So viel von sich selbst hatte das Höchste gegeben, damit sie den Göttern zur Hand gingen. Rissig und befleckt kam ihm nun seine Seele vor und seinem Geist fehlte die Nahrung durch reines Licht. Mit Macht stieß seine immaterialisierte Gestalt durch die Wolken, die Feuchtigkeit kühlte sein Gemüt und ihre Zartheit streichelte seine Seele. Die Wolken erinnerten ihn an die Engelsflügel aus der ersten Dimension. Diese Engel waren weiß, rein und jung wie er, bevor er unbedingt in die Dienste Baels wollte. Der Feuergott war der mächtigste der Zwölf. Und der frische Lichtstreif gehörte zu den letzten Albozen, die von keinem der Götter erwählt worden waren. Was verfluchte er den Tag, als er Bael davon überzeugt hatte, in ihm einen fähigen Diener zu finden. Er beneidete die anderen übriggebliebenen Albozen, die ihr Schicksal angenommen hatten und nun frei waren, das zu tun, wozu DAS EINE sie geschaffen hatte. Sie halfen nach ihrem Gutdünken und machten Eisenland zu einem heiligen Ort. Unerkannt, in unterschiedlichen Gestalten sollten sie sogar durch Dimensionen reisen, die Welten mit ihrem reinen Geist und ihrer unerschütterlichen Liebe erleuchten.

Mitten in seinen Gedanken griffen plötzlich kochend heiße Flammenfinger nach ihm, denen er im letzten Moment durch einen Sinkflug ausweichen konnte. Er ließ seinen Seelenstoff, durch den er jede Gestalt annehmen konnte, dünn und breit werden. So dünn, dass er sich selbst kaum noch wahrnehmen konnte. Die Sonnenstrahlen schienen an den Wolken vorbei einfach durch ihn hindurch. Aber es half ihm nichts: Kreischend rüttelte die Stimme in seinem Geist. »Wo willst du hin, du Wurm?«

Würmer waren die neueste Erfindung der Göttin Baldera, um die Erde aufzurütteln. Doch die meisten Götter erachteten ihre Form nicht als würdig, auf dem Land DES EINEN zu kriechen. Bael dagegen fand sie großartig.

Der Alboze fühlte sich ertappt, da er einfach in die Welt hinaus und seinem Geist etwas Erholung von seinem quälenden Herrn verschaffen wollte. So druckste er herum und sein Seelenstoff bäumte sich wie ein Laubblatt der magischen Eischbebäume auf, die ein wilder Wind erfasst hatte. Der Alboze begann zu taumeln.

»Morren!«, kreischte die Stimme erneut und wirbelte den Geist der Lichtgestalt durcheinander, sodass er seinen Seelenstoff nicht mehr kontrollieren konnte und zu fallen begann. Wie ein gefrorener Stern rauschte er auf den Boden zu, um dort auf goldsandiger Erde aufzuschlagen. Auch ohne Körper spürte er jedes Körnchen.

Die quälende Stimme tobte weiter in seiner Seele. »Du unnützer Parasit. Was scharwenzelst du in der Gegend herum? Solltest du mir nicht zu Hand gehen, um aus dem Schattenschimmer Leuchten zu machen, die die Welt endlich erhellen?«

»Doch!«, sagte Morren kleinlaut.

»So ein Werk ist eines Gottes würdig, findest du nicht?«

Der Alboze stimmte ihm still zu und war sicher, dass Bael selbst in der Vulkanfestung jede Bewegung wahrnahm und jedes Ansinnen spürte. Nichts wünschte sich Morren mehr, als dass seine Gedanken frei wären. Er hörte das dröhnende Lachen seines Gebieters.

»Deine Freiheit hast du aufgegeben, als du dich in meine Dienste begabst!«

»Und ich schenkte sie Euch gern, Eure Genialität!« Ein leichtes Wohlwollen gewahrte er. Inzwischen hatte er gelernt, seinen Herrn mit Schmeicheleien einzuwickeln.

»So ist es recht, aber sage mir, warum du dich vor so ehrenvollen Aufgaben wie der Herstellung von Leuchten drückst. Das ist doch wahrlich einer Lichtgestalt würdig.«

»Sicher, mein Gebieter. Und es macht mich glücklich, Euch bei dieser glanzvollen Aufgabe zu unterstützen. Jedoch war mein unwürdiger Geist so erschöpft, dass ich es vergaß und mich nach Erholung sehnte.« Sein Seelenstoff duckte sich augenblicklich vor der Feuerwalze, die auf ihn niederging.

»Vergessen?«, schnaubte der Feuergott aufgebracht. »Erschöpft?«

Erleichtert bemerkte Morren, wie Bael die Hitze wieder von ihm abzog, bevor sein Seelenstoff noch ernstlich Schaden nehmen konnte. Dennoch spürte er die Brandblasen schmerzlich und der Gestank nach Verbranntem benebelte ihm die Sinne.

»Wie konnte DEM EINEN, dem großen Schöpfergott, das nur passieren? Dass ES aus SEINEM eigenen Seelenstoff solch bemitleidenswerte Gestalten schuf? Wir Götter entsprangen aus SEINEN eigenen, heiligen Gedanken, und dabei hätte ES es belassen sollen.«

Morren drückte sich fest und flach auf den Boden und flüsterte matt: »Gebieter, ich komme heim und arbeite mit Euch an den Leuchten.«

»Nein!«, grollte der Gott. »Diese Ehre hast du dir verscherzt. Zur Strafe wirst du draußen bleiben, weit von meinen Herdfeuern und die Ewige Flamme suchen. Und wage es nicht, ohne sie heimzukehren.«

Morren traute sich nicht zu erwähnen, dass der mächtige Gott selbst die Ewige Flamme überall gesucht und sie nirgends gefunden hatte. Wie sollte es dann ihm gelingen?

Aber Bael hatte das Unausgesprochene vernommen und kreischte in seinem Geist erneut unerträglich auf. »Du Nichtsnutz!« Als er sich beruhigte, sprach der Feuergott: »Eine Chance hast du. Meine Schwester Lukia hat ihre eigenen Geschöpfe geschaffen, sie nennt sie Lichtelben und behauptet, sie seien berührt von dem Licht der Sterne. Angegeben hat sie mit ihrer Kreation. Doch noch schlafen sie im Osten an einer Quelle, bis DAS EINE sie für würdig befindet und sie mit der Ewigen Flamme belebt. Eile zu der Quelle, und wenn DAS EINE dort mit der Flamme auftaucht, dann stiehl einen Funken von ihr!«

Ein Beben des Entsetzens durchlief Morren. Das konnte er nicht von ihm, einer Lichtgestalt, geschaffen aus dem Seelenstoff DES EINEN, verlangen.

Doch Bael donnerte ungerührt: »Das kann ich sehr wohl. Du stehst nun in meinen Diensten. Und wir werden neben den Leuchten DAS EINE erneut mit meiner Kreation des Lebens überraschen.«

Morren verbat sich mit aller Kraft den zweifelnden Gedanken an die Heiligkeit dieses Auftrages.

 

Nach einer ganzen Weile, als Morren sich in seinem Geiste allein wähnte, erhob sich die Lichtgestalt. Mit müden Sinnen betrachtete er den Schaden an seinem Seelenstoff. Löcher mit braunen Rändern waren hineingebrannt und Striemen aus schwarzer Asche bildeten chaotische Muster, die nichts mit der Vollkommenheit DES EINEN gemein hatten. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis die Öffnungen zugewachsen und der Stoff wieder reinweiß werden würde. Ein Schütteln ging durch ihn. So konnte er sich nicht durch die neugeborene Welt bewegen, um seinen Auftrag auszuführen. Er sah sich um. Eisenland war so atemberaubend und voller perfekter Schönheit. Das dunkle Grün der Büsche, das mit dem hellen Grün des Grases harmonisch im Einklang stand, durchbrochenen von den bunten Blumen und dem Blau des Himmels. Die Gerüche waren betörend und Balsam für seinen angegriffenen Geist. Langsam kam er zu Kräften, und das Finstere in seiner Seele verflüchtigte sich. Die Welt war jung, unverdorben und prall gefüllt mit Kraft. Es war ein sonnendurchfluteter Frühlingsmorgen. Er sollte hinaus, die Schönheiten dieser neuen Welt bestaunen, die auf Eisenland entstanden war, und dabei nach dieser Quelle suchen.

Er schwebte in Richtung Osten, wo der ewige Frühling blühte. Die Götter hatten das Land mit sanften Hügeln, springenden Flüssen und grünen Wiesen ausgestattet, die in satten Farben leuchteten. Alles roch frisch und rein. Bienen brummten und sammelten Blütenstaub für den süßen Honig und Schmetterlinge und Libellen flatterten lustig um seine Gestalt. Tiefe Freude erfasste ihn. Diese Welt musste er umarmen, auf die Knie fallen und die Götter zu dieser Pracht beglückwünschen. Eine Lobeshymne auf DAS EINE in den höchsten Tönen anstimmen. So hüpfte er ausgelassen auf den Wegen, wurde eins mit den Strahlen, die er warm auf sich spürte und tief in sich eindringen ließ. Morrens eigenes Licht schien daraufhin wieder hell und bekam einen silbernen Schimmer. Wenn er sich so glücklich fühlte, da er seiner Bestimmung folgte, dann leuchtete er von innen sogar wie ein Brillant, und sein Licht brach in tausend wunderbaren Farben. Plötzlich hielt er inne. Mit Schrecken stellte er fest, dass er gar nicht auf etwas Außergewöhnliches geachtet hatte. Wie sollte sein Herr seine hohe Aufgabe erfüllen, wenn er so selbstvergessen durch die Weltgeschichte schlenderte? Beschämt sah er sich um und lauschte, ging einige Schritte, durchkämmte die Wiese, schnüffelte in der Luft. Es roch herrlich, war für Auge und Ohr ein Schmaus, doch nichts nahm er wahr, was ihn weiterbrachte. Keinen Hinweis auf die Ewige Flamme. Dann aber hörte er etwas. Zunächst leise, kaum wahrnehmbar wie der einzelne Flügelschlag eines Kolibris. Er hielt inne, sphärische Klänge erquickten sein Gehör. Sein heiliges Licht strahlte noch heller und wurde nahezu golden. Bald erkannte er eine glockenhelle Stimme, die ähnlich einer Nachtigall sang. Es musste eine Göttin sein, die auf diesen Gründen wandelte. Zu ihr eilen und ihr danken für die Schönheiten dieser Welt sollte er. Beseelt von diesem Gedanken folgte er dem Gesang. Und dann sah er sie. Er wusste nicht, was sie war. Eine Göttin war sie nicht, doch ein Tier konnte sie auch nicht sein. Sie besaß eine zierliche Gestalt, ein ebenmäßiges Antlitz mit großen, grünen Augen, die staunend in die Welt blickten. Rasch verbarg Morren seine lichte Erscheinung. Was war sie? Ob das wunderbare Wesen mit der zauberhaften Stimme eine dieser Lichtelben war, deren nahende Geburt sein Gebieter ersehnte? »Bitte, nicht!«, betete er inbrünstig. Denn dann war es zu spät, um der Belebung beizuwohnen und einen Funken der Flamme zu stehlen. Der Feuergott würde mehr als ungehalten sein. Erleichtert bemerkte er, dass Bael wohl zu beschäftigt war, um seine Gedanken zu vernehmen. Aber das konnte sich rasch ändern, wenn er nicht sofort alles Sorgenvolle und diese Furcht aus ihnen nähme. Solche Gefühle, das hatte er auf einem schmerzlichen Pfad als Baels Diener herausfinden müssen, verstärkten seine Gedanken so, dass es offenbar in Baels göttlichen Sinnen stürmisch läutete. So beobachtete er selbstvergessen dieses schöne Wesen, wie es auf nackten Füßen über die moosigen Wege lief. Ein weißes Kleid trug die vermeintliche Elbin aus einem Stoff, der bei jedem Schritt wie weiche Wolken um sie wogte. Sie hielt den glockenförmigen Rock mit beiden Händen hoch, so dass er einen Blick auf ihre zarten Fesseln erhaschen konnte. Ihr Anblick rührte ihn und erfüllte ihn mit heißem Überschwang. Jauchzen hätte er können. Anmutig wie ein Engel tanzte sie über die Blumenwiese, die bunten Schmetterlinge umschwärmten sie. Morren folgte ihr. Als das Geschöpf zu einem Bach kam, sprang es von einem Stein zum nächsten. Die Schöne flatterte nahezu über die leuchtenden Frühlingswiesen, drehte sich um sich selbst, juchzte und ließ sich in ihrem Taumel mit ausgestreckten Armen ins hohe Gras fallen. Morren vergaß seinen Auftrag; er wollte nur bei ihr sein. Fasziniert betrachtete er sie und wusste plötzlich, was er zu tun hatte.

Eifrig nahm er die Gestalt eines Elbs an. So, wie er sich das Gegenstück zu ihr vorstellte. Ihr Pendant wollte er sein. Dazu kleidete er sich in eine Hülle von schönem, angenehmem und freundlichem Aussehen. Das Leuchten des Lichtstreifs durchdrang ihn und ließ ihn in dem goldenen Schimmer eines frischgeborenen Elbs erstrahlen. Um sie nicht zu erschrecken und sich selbst an seine ihm fremde Stimme zu gewöhnen, pfiff er von Weitem das Lied, das er bei ihr gehört hatte. Die Elbin hielt kurz inne, lauschte und fiel summend in die Melodie ein. Als er auf die Frühlingswiese tanzte, schwebte sie mit offenen Armen auf ihn zu. Ihr weich geschwungener Mund und die blitzenden Augen lächelten freudig und schlugen ihn sofort in ihren Bann.

Sie fasste ihn bei den Händen. Ihre Berührung fuhr ihm durch die elbischen Glieder. Mit ausgestreckten Armen begannen sie, sich um die eigene Achse zu drehen, den Kopf in den Nacken gelegt, schauten sie juchzend in den Himmel und drehten sich immer schneller. Irgendwann verloren sie das Gleichgewicht, fielen sich in die Arme, sanken auf das weiche Blumenbeet.

Wie schön sie war! Wie lieblich und anmutig. DAS EINE musste die Elben nach dem Ebenbild der Göttinnen geschaffen haben. Plötzlich verschwand das süße Lächeln aus ihrem klaren Gesicht. Sie musterte ihn und fragte verwundert: »Wer bist du?«

»Ein Elb wie du.«

»Ich habe dich zuvor nie gesehen«, sagte sie staunend. »Und wir sind nur wenige, die vor drei Tagen das Licht der Welt an der Flammenden Quelle erblickt haben.«

»Ich bin erst heute geboren«, versuchte Morren hilflos zu erklären.

»Seltsam. Für die kurze Zeit, die du auf Eisenland wandelst, bist du weit gekommen.« Sie betrachtete ihn genau, jede Linie seines Gesichtes schien sie sich einprägen zu wollen.

»Wie viele wart ihr?«, fragte Baels Diener, der sich seines eigentlichen Auftrages schmerzlich bewusstwurde. Es würde seinen Herren ärgern, dass er den Augenblick der Geburt der ersten Geschöpfe verpasst hatte.

»Dreißig.«

»Und? Wie war es, belebt zu werden?«

»Das müsstest du doch selbst wissen.«

Morren lächelte. Ach, da hatte sie natürlich recht. Vielleicht sollte er zu erkennen geben, was er wirklich war. Aber er wollte den wunderbaren Augenblick nicht verderben. So sagte er vorsichtig: »Irgendwie kann ich mich nicht erinnern, plötzlich war ich ein Elb.«

Die schöne Elbin seufzte. »So ging es uns allen. Von einem Moment auf den anderen waren wir da. Wir erwachten gemeinsam an der Flammenden Quelle in einem Glitzern und konnten uns sofort verständigen. Wir sprachen die gleichen Worte und wussten, was sie bedeuteten.«

»Hast du dich nicht gewundert?«

Lächelnd nahm sie vorsichtig eine goldene Strähne, die ihm ins Gesicht gefallen war, und steckte sie zärtlich hinter die spitzen Ohren. Es ging ihm durch und durch.

»Die ganze Welt ist ein Wunder. Du bist ein Wunder.«

Rasch ergriff Morren ihre Hand, die noch an seiner Wange verharrte, und küsste sie liebevoll.

Sie lächelte glücklich. Und dann sahen sie sich stumm an, konnten sich nicht aneinander sattsehen und so verging die Zeit.

 

Nachdem Morren und die Elbin sich Ewigkeiten betrachtet hatten, die Wunder ihres Daseins genossen, die Sterne und die Wolken beobachtet hatten, hörte der Alboze den Ruf seines Gebieters. Er erschrak bis ins elbische Gebein und erstarrte. Doch immer wieder erklang die ungeduldige Stimme: »Morren, wo bist du? Wo steckst du so lange? Hast du etwas gefunden?« Und dann wieder: »Lass deinen Herrn nicht so lange warten!«

Der Lichtstreif fürchtete sich so, dass sein Elbenkörper zitterte.

Die Elbin fragte ihn: »Liebster, was ist mit dir?«

»Nichts! Ich habe nur etwas vergessen.«

Verstört blickte sie ihn aus den grünen Augen an, aus denen nur Sorge und Liebe sprachen. »Was könntest du vergessen haben in dieser neuen Welt?«

»Das kann ich dir nicht erklären. Ich muss heim.«

»Dann lass uns gemeinsam zu der Flammenden Quelle gehen.«

Morren überlegte fieberhaft. Was sollte er tun? Er verstrickte sich immer mehr. Es wurde Zeit, ihr die Wahrheit zu sagen. Als er ansetzte, sich zu offenbaren, brüllte es in ihm: »Du unerzogener, unverschämter Alboze. Was soll ich mit einer solchen Dienerschaft, mit der DAS EINE mich straft? Wenn du nicht in wenigen Augenblicken hier bist, werde ich dich aus meinen Diensten entlassen.«

Der Elb, in den sich Morren gekleidet hatte, wurde fahl im Gesicht. Hastig löste er sich von der Elbin, sprang auf und sagte harsch: »Weib, ich muss gehen. Frag nicht!«

Die Elbin schluckte und sprach: »Bist du meiner überdrüssig, dann sag es gleich!«

Morren taten ihre Worte in dem hellen Licht, das ihm DAS EINE geschenkt hatte, weh. Rasch wandte er sich zu ihr und lächelte sie so liebevoll an, dass sie seufzte. »Nein, meine Schöne, das ist nicht so. Sei dir meiner Liebe gewiss. Aber ich muss gehen. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich dir alles erklären. Vertrau mir!«

Die Elbin sprang auf, umarmte ihn und ließ ihn alles vergessen. Sollte Bael ihn doch entlassen. Er wollte ohnehin nichts anderes, als hier bei der Elbin sein. Ihre Lippen trafen sich, verschmolzen zu einem glühenden Kuss. Erneut tobte es in ihm. »Wenn du nicht sofort zu mir kommst, werde ich dein Licht ausblasen.«

Diese Worte des donnernden Feuergottes löschten alle romantischen Gefühle aus. Aus dem Dienst entlassen zu werden, war das eine, doch ausgeblasen zu werden, zu vergehen … Nein! Er würde sie ja wiedersehen. Abrupt löste er sich von ihr, sah ihr in die Augen. »Mein Herr ruft mich. Ich muss nun wirklich gehen.«

»Dein Herr?«

»Bitte!« Verzweifelt wandte er sich ab.

»Werden wir uns wiedersehen?«, fragte sie traurig. Und auch in ihm pochte schon die Sehnsucht unerträglich.

Er drehte sich zu ihr um. »Ja, sag mir deinen Namen, damit ich dich rufen kann!«

Sie lächelte und ihre Augen liebkosten ihn. »Die Göttin Lukia schenkte mir ihr Licht und nannte mich Marroval!«

 

Rasch verwandelte sich Morren in den Lichtstreif und eilte binnen eines Augenaufschlags zu den Gefilden seines Herrn.

Sein inneres Licht leuchtete heftig und das Glück musste Bael nur so entgegenstrahlen, als der Diener vor den mächtigsten aller Götter trat.

»Wo warst du?«, grollte der Feuergott und Flammen loderten auf den Albozen zu, so dass er sich erschrocken ein Stück zurückzog. Tief verneigte er sich.

»Mein Gebieter, verzeiht. Ich habe die Zeit vergessen. In den Ostlanden ist es so schön, der Frühling herrscht da besonders betörend. Lauter atemberaubende Wunder sind euch Göttern dort gelungen.«

»Frühling? So!«, zischte Bael. »Was findest du am Frühling so berauschend?«

»Angenehmes Klima. Es ist warm, jedoch nicht zu warm. Alles ist grün und bunt, blüht und duftet. Ein Göttertraum.«

»Der dich von deiner Aufgabe ablenkt«, stellte der Feuergott ungehalten fest. »Aber nicht mehr lange. Ich werde den unerträglichen Frühling verbessern. Licht und Wärme … Damit wird Schluss sein. Höchstens mal ein warmer Regen für die Vegetation.«

»Aber mein Herr. Das Wetter ist doch fertig und es ist wunderbar so.«

»Das lass meine Sorge sein. Hast du Hinweise auf die Ewige Flamme gefunden?«

Morren schluckte. Unsicher flackerte sein Licht. »Nein, mein Gebieter.«

»Hm, und das soll ich dir glauben? Raus mit der Sprache, was hast du entdeckt?«

Der junge Alboze starrte auf den Boden. »Die Elben sind erwacht.«

»Was?!«, donnerte der Gott. »Warum sagst du das nicht gleich? Wann? Wo?«

»An der Flammenden Quelle. Vor drei Tagen.« Doch Morren war nicht mehr sicher, schließlich hatte er Zeitalter mit Marroval verbracht und dennoch war es nur einen Augenblick gewesen. Ach, wie gern wäre er jetzt bei ihr. Sehnsuchtsvoll hob er den Kopf.

 

Der Feuergott blickte direkt in Morrens Ewige Flamme.

Im Knistern DES EINEN Feuers erblickte Bael eine liebliche Gestalt, durchdrungen von einem Licht, das ihm seltsam bekannt vorkam. Grüne Augen sahen ihn voller Liebe an. Liebe! Er wusste, dass dieser Blick nicht ihm galt, sondern seinem treulosen Albozen. Doch er wünschte sich, dass diese Kreatur ihn so ansah. Und was ein Gott wünschte, erfüllte sich. Tief blickte er auf die anmutige Elbin mit dem sinnlichen Körper einer Göttin. Sie erinnerte ihn an seine Schwester Lukia, die Götterkönigin. Seine Rivalin, denn DAS EINE zog die Göttin des Lichts ihm eindeutig vor, obwohl er doch wesentlich mächtiger war. DAS EINE war manchmal schwach, wo es unerbittliche Stärke erforderte. Wut bemächtigte sich des Feuergottes. Dann hörte er im knisternden Seelenfeuer seines Dieners, wie das Geschöpf sagte: »Die Göttin Lukia schenkte mir ihr Licht und nannte mich Marroval.«

Lukia war natürlich dabei gewesen, als ihre Kreation belebt wurde, während er zu der Geburt der Elben nicht eingeladen war. Und nicht nur das. Sie hatte dieses Geschöpf eindeutig nach ihrem Äußeren gebildet und ihr etwas von ihrem Licht geschenkt. Seine Wut entfachte einen tobenden Zorn. Marroval! Den Göttern, Lukia und sogar DEM EINEN würde er zeigen, was er aus diesem Geschöpf machen würde. Sie würden sie nicht mehr erkennen. Er grinste höhnisch. Auch sein treuloser Alboze nicht.

 

Morren verstand nicht, warum sein Gebieter so zornig wurde. Er beobachte voller Schrecken und Faszination, wie sein Gesicht von zornrot zu einem hellen Purpur wechselte und ihn ein hämisches Grinsen traf, das sein inneres Licht flackern und fast erlöschen ließ. Um so erstaunter war der Lichtstreif, als ihn der Feuergott gnädig entließ und ihm sogar freigab. Vielleicht war die Information über die Elbengeburt für ihn so erfreulich, dass es ihn milde oder sogar dankbar stimmte. Bald dachte er nicht mehr an seinen Gebieter, sondern freute sich auf das Wiedersehen mit seiner Marroval.

Geradewegs sauste er zu den Ostlanden bis an die Stelle, an der er Marroval verlassen hatte. Dort verwandelte er sich in den Elb und dachte fest an sie. Sie war wie ein Traumbild, so schön, anmutig, fast göttlich. Er bebte, als er ihren Namen rief. Doch nichts geschah. Erst nachdem er dreimal »Marroval« gerufen hatte, hörte er ihre unnachahmliche Stimme, die ihn an eine trällernde Nachtigall erinnerte. »Morren, hier bin ich.«

Und dann sah er, wie ihr liebliches Wesen aus dem silbernen Bodennebel trat. Er wollte auf sie zulaufen, sie in den Arm nehmen, sie küssen. Aber er konnte sich nicht bewegen. Verzweifelt versuchte er, seine Beine zu heben. Vergeblich – sie schienen wie angewurzelt. Und ganz gleich, wie stark er an ihnen auch zerrte, sie blieben an der Erde haften. Er wollte rufen: Hier bin ich, Liebste. Jedoch verließ kein Laut seine Kehle, noch nicht einmal ein Krächzen. Seine Arme, mit denen er winken und auf sich aufmerksam machen wollte, blieben bleiern hängen. Entsetzt beobachtete er, wie Marroval sich nach ihm umsah, und hoffte schon, sie würde nach ihm suchen. Doch dann lächelte sie und ihre Augen blitzten vor Freude. Ihre Finger spielten mit einer ihrer goldenen Haarsträhnen, als eine Gestalt, die genauso aussah wie Morrens Elb, auf sie zutrat, sie in den Arm nahm und sie leidenschaftlich küsste.

 

Morren kämpfte mit aller Macht gegen seine Bewegungslosigkeit an und musste zusehen, wie sein Abbild seine Marroval berührte. Wie die Finger streichelten und liebkosten, so wie er es gern getan hätte. Was ging da vor? Die Elbin blickte mit verzückten Augen geradewegs zu ihm, als der Elb ihren Hals mit Küssen übersäte. Doch sie schaute durch ihn hindurch, als ob er unsichtbar wäre. Voller Verzweiflung und Eifersucht blickte er auf diesen Elb. Wenn er ihn in die Finger bekäme … Doch welcher Elb könnte solch mächtigen Zauber weben? Die Wucht der Erkenntnis quälte seinen Geist. Wer anderes als sein Gebieter konnte ihm das antun? Und er selbst hatte den Feuergott geradewegs zu Marroval geführt. Wie töricht und naiv er gewesen war. Er musste etwas tun, konnte doch nicht dabei zusehen, wie Bael ihm das Liebste nahm.

Die Lichtelbin sah weiter in seine Richtung, doch ihre Augen glänzten selig. Alle Bemühungen, sie mit seinen Gedanken zu erreichen, schlugen fehl. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich völlig auf den Gott, der sie mit Zärtlichkeiten überhäufte. Wenn er sie nicht erreichen konnte, musste er versuchen, diesen baelschen Zauber zu brechen, indem er seine Urgestalt annahm. Und er sollte sich beeilen, denn diese Kopie von ihm streifte ihr mit geschickten Händen bereits das Kleid ab. Neben ihrer wundervollen Seele besaß sie einen frühlingsschönen Körper. Ihre Haut war so weiß wie die Blüten der Orchideen aus den göttlichen Gärten. Ihre Rundungen – sanft geschwungen, der Leib wirkte kraftvoll und zugleich zerbrechlich. Die kleine Kuhle zwischen Hals und Schlüsselbein – wie gern würde er sie dort berühren, diese feine Linie von der Kehle über ihren Busen erkunden. Das taten inzwischen die kundigen Elbenhände, die seine sein sollten. Leise seufzte sie bei jeder seiner Berührungen. Morren zitterte, verzweifelt zerrte er an den Fesseln seines Seins. Dieses Gefängnis, in das Bael ihn gesperrt hatte, beengte seine Seele. Wo ist meine Urgestalt? Unglücklich versuchte er, den Kern seines Wesens zu finden, doch der Feuergott hatte ihn gut versteckt. Wollüstiges Stöhnen durchbrach seinen Bemühungen. Nein, Bael durfte sie nicht haben! Er würde sie verderben. Tief in seinem hellen Geist wusste Morren das. Alles musste er daransetzen, sie zu warnen. Verzweifelt formte er seine Gedanken zu einem Nein, befeuerte es mit seiner Ewigen Flamme. Doch die Laute zerbarsten an den Wänden seines Gefängnisses, die nun näher auf ihn zukamen. Erneut versuchte er, sich zu erinnern, wie er sich wandeln konnte. Aber der Seelenstoff erschien ihm schleimig, ließ sich nicht fassen und entglitt ihm. Verzagt blickte er zu ihr, auf ihren vollkommenen Körper, der nun von dem Gott in Flammen der Leidenschaft versetzt wurde. Mit aller Macht befahl er seinem Seelenstoff, die Urgestalt anzunehmen. Sein Licht, das ihm DAS EINE geschenkt hatte, strahlte kurz auf und blendete seinen Geist. Die finsteren Wände seines Gefängnisses reflektierten das Licht und warfen es geballt zurück. Und ihm blieb nur der Schmerz. Weitere Bemühungen misslangen und sein Licht verrauchte in dem böswilligen Schatten, den Bael über ihn geworfen hatte. Entkräftet und geistig leer wurde er nun Zeuge, wie Bael statt seiner in sie eindrang und in dem Moment, in dem er sich in sie verströmte und sie ekstatisch zu zucken begann, wieder zum Feuergott wurde. Marroval verbrannte fast in dem übernatürlichen, lodernden, versengenden Feuer. Zunächst schrie sie aus Lust, dann aus unermesslichem Schrecken und zum Schluss aus Todesangst und unsäglichem Schmerz. Und Morren in seinen Fesseln schrie mit ihr, und sein Leib zuckte im selben Takt der Agonie. Doch der Feuergott ließ sie am Leben, befreite den Lichtstreif von seinen Fesseln und befahl ihm, den verbrannten Leib der einst so vollkommenen Schönen nach Dolmork zu bringen.

Unter Tränen fragte Morren seinen Gebieter: »Ist das eines Gottes würdig? Musste das sein? Dass Ihr mir das Liebste nehmt? Sie verstümmelt?«

»Du warst ungehorsam, guter Morren. Die Strafe hast du dir selbst zuzuschreiben.«

»Aber sie konnte doch nichts für meinen Ungehorsam. Sie war unschuldig.«

Bael grinste. »Ja, das war sie. Und viel zu schade für einen kleinen Albozen wie dich. Ich habe Großes mit ihr vor. Du wirst sehen.«

 

Morren schwebte durch die endlosen Gänge der Vulkanfestung, die aus Pechstein gewonnenen glatten Böden waren mit blutroten Teppichen bespannt. Wenn man nicht so genau hinsah, schienen sie hübsch weiß gemustert. Doch der Alboze wusste, dass die Musterung aus lauter winzigen Totenköpfen bestand. Jedes natürliche Wesen, das die Göttin Baldera geformt und DAS EINE mit der Ewigen Flamme beseelt hatte, ließ der Feuergott sich beschaffen. Nachdem er es getötet hatte, studierte er seine Anatomie, um dann die fleischlosen Köpfe als Muster in den Teppich zu weben oder daraus Statuen zu bilden, die in den Ecken standen. Morren seufzte, als er an Marroval dachte. Noch atmete die Lichtelbin, verbrannt und verstümmelt, mehr tot als lebendig. Jeden Tag ging er mehrmals zu ihr. In dem unteren Trakt, wo die heißen Lavaströme durch die Wände flossen und viel Wärme in die Räume gaben, hatte er ihr ein Gemach eingerichtet. Mit aller Hingabe hatte er versucht, es gemütlich und schön herzurichten. Ein schwieriges Unterfangen, da die finstere Festung im krassen Gegensatz zu den Ostlanden stand, die nun nach der Geburt der Elben Ostelbenlande genannt wurden. Morrens Euphorie, die er bei seiner Entzündung zum Lichtstreif empfunden, erhielt in den Diensten Baels einen gehörigen Dämpfer. Inzwischen stand er vor der hohen Eischbetür, die ihn von Marrovals Gemach trennte. Rasch kleidete er sich in das Fleisch des Elben, den seine Liebste kannte. Sanft strich er über das glattpolierte Holz, das die Farbe von Wolken bei Sonnenschein hatte. Es bildete einen starken Kontrast zu dem tiefschwarzen Pechstein, aus dem die Festung erbaut war. Er spürte die pochende Magie unter seinen elbischen Fingern. Eischbe waren magische Bäume aus den Gärten des Gelobten Landes. Bael hatte sie gestohlen und aus diesen machtvollen, gesegneten Bäumen gewöhnliche Gegenstände zimmern lassen. Welch ein Frevel. Leise summte Morren eine Melodie aus dem Hohen Lied, als er vorsichtig die Tür öffnete. Die heilige Weise rührte sein Licht, das er durch die Schändung seiner Liebsten schon erloschen geglaubt hatte. Es umgab ihn als heller Schein und beleuchtete das abgedunkelte Zimmer. Aus dem Bett kam ein Stöhnen, das ihn veranlasste, in raschen Schritten zu ihr zu eilen. »Marroval«, sang er immer noch in der Melodie des Hohen Liedes, welches die Götter unter der Dirigentschaft DES EINEN verwendet hatten, um Eisenland aus Luft, Wasser, Erde und Eisen zu bilden. Eine Symphonie des Schaffens, um Berge, Wälder und Seen zu gebären. Ein wunderbares Heim für die Wesen, die DAS EINE im Sinne hatte. Eine machtvolle Melodie, voller Kraft und Schönheit, die sich nur im Orchester aller Götter wirklich entfalten konnte. Die Grundmelodie aus dem Mund eines einfachen Albozen war nur ein schwacher Ersatz, dennoch hoffte er auf die heilende Wirkung. Um sie zu verstärken, befeuerte er die Musik mit seinem frisch entflammten Licht. Doch Marroval, die in einem bösen Traum gefangen schien, jammerte. Unglücklich trat er auf ihre Bettstatt zu, wagte sie aber nicht zu berühren, da ihr Fleisch offen, verbrannt und wund war. Ihr ehemals goldenes Haar war bis auf die Kopfhaut abgebrannt, ihr Gesicht entstellt. Dort, wo ihre Nase gewesen war, klaffte ein gewaltiges Loch und gab den Blick frei auf die fleischlosen Wangenknochen. Doch ihre Lider waren bis auf die versengten Wimpern unversehrt und schützten ihre Augen. Er sehnte sich danach, in das tiefe Grün zu blicken und gleichzeitig fürchtete er sich fast genauso davor, wie ausgeblasen zu werden.

»Liebste«, sang er und versuchte, trotz Gram und Schuldgefühlen, die Melodie harmonisch klingen zu lassen. »Was kann ich nur für dich tun?«

Plötzlich schlug sie so plötzlich die Lider auf, dass Morren erschrocken zurückwich. Das Grün ihrer Regenbogenhaut flammte giftig auf, rot geädert und mit toter Pupille starrten die Augen zu ihm empor. Seine Elbengestalt spiegelte sich in ihnen. Zuerst schien sie ihn nicht zu erkennen, ihr Blick wirkte verständnislos und als ob sie gar nicht im Diesseits wäre. Doch dann tropfte offenbar die Erkenntnis in ihr Bewusstsein.

»Marroval, Liebste. Erkennst du mich?«, fragte er und lächelte.

Heftig schüttelte sie den Kopf und schrie schrill und anhaltend, bis ihr geschundener Körper von trockenen Schluchzern geschüttelt wurde. Schon bald verließen sie ihre gerade gewonnenen Kräfte und sie fiel in einen unruhigen Schlaf.

Sie glaubt, dass ich ihr Schänder bin, erkannte Morren. Rasch verwandelte er sich zurück in den Lichtstreif in der Hoffnung, dass diese Gestalt ihr mehr Trost als Schrecken bereitete. Sanft legte er seinen Seelenstoff um sie, sang den Refrain des Hohen Liedes und streichelte sie mit seinem Licht. Inbrünstig betete er zu DEM EINEN: »Bitte heile sie, bitte rette sie, bitte mache sie wieder zu deinem vollkommenen Geschöpf. Sie ist unschuldig.« Und tatsächlich erfasste das Licht den Körper der Elbin. Morren erkannte mit seinem Seelenstoff, wie sich die fehlenden Knochen bildeten, die Haut heilte und einen lilapudrigen Ton erhielt. Selbst das Haar wuchs ihr bis auf die Schultern, doch es bekam nicht mehr den warmen Goldton, sondern hatte die Farbe kalter Asche. Zunächst rekelte sie sich sogar wohlig in seinem Licht. Dann schlug sie erneut die Augen auf, das Giftgrün war nicht gewichen, und zischte: »Schenk mir den Tod.«

»Liebste, du bist geheilt. Warum willst du sterben?«

Rasch richtete sie sich auf und stieß seinen Seelenstoff angewidert weg. »Mein Körper mag geheilt sein. Das Lied war wunderschön und mächtig, dein Licht erinnert mich an das der Göttin Lukia und dennoch ist es nicht mehr als eine Karikatur, die das Sternenlicht entweiht und das göttliche Werk beschmutzt.«

Beschämt löschte er das Licht. »Es tut mir leid, doch ich konnte nichts dafür. Der Gebieter, ein Gott …«

»Schweig!«, schrie sie. »Du hast mich betrogen, du bist kein Elb und dann hast du mich ihm ausgeliefert.«

»Ich weiß!«, flüsterte er. »Ich wünschte, ich könnte es wiedergutmachen!«

Sie lachte trocken auf. »Wenn du mir helfen willst …«

»Ich würde alles für dich tun.«

»Dann töte mich und befreie mich von diesem elendigen Dasein.«

Morren verstand ihr Ansinnen nicht und begann erneut, den Refrain des Hohen Liedes zu singen. Innehaltend entspannte sie sich, lauschte und wiegte sich im heiligen Takt. Der Alboze sang: »Ich werde dich retten, befreien. Ich bringe dich zu Lukia, das soll dein Heil sein.«

Sie seufzte und fiel mit der hellen Stimme der Nachtigall ein: »Bring mich zu Lukia, in ihr Licht. Sonst will ich nicht – leben, sein. Bring mich zu Lukia, mach mich heil oder gib mir einen Tod, denn meine Seele ist zerrissen, verbrannt, zerstört.«

Erleichtert einen Ausweg zu haben und eine Möglichkeit, Marroval zu retten, schwebte er davon, um einen Fluchtplan auszuarbeiten.

 

 

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