Leseprobe „Aschengier“ 2.Kapitel

2. Nach dem Ritual

Vierzehn Tage nach der dritten Vollmondnacht im Sommer des Jahres 581 des Götterlosen Zeitalters

Westliche Nordlande, Morland

Verbrannte Welten – noch zu retten?

Rayka folgte Lavilija, die die Wolkentrage mit der schlafenden Prinzessin hinter sich herzog. Sie waren auf dem Weg nach Silbrarillia, um die Prinzessin zurückzubringen und hoffentlich den Reisenden zu treffen. Ihr Blick war fest auf den Boden gerichtet, damit sie nicht über eine der Wurzeln stolperte, die hier im Uferbereich des Weos über den schmalen Weg krochen. Dennoch war sie mit den Gedanken ganz woanders. So viel war passiert. Alles hatte sich in wenigen Wochen völlig verändert, allein die Ereignisse der letzten Tage reichten für ein Leben. Dennoch war Rayka erleichtert. In jener Vollmondnacht hatten sie die Maledine erfolgreich abgeschüttelt. Der Schatten, den Lavilija gewebt hatte, war der beste Schutz gewesen. Doch Rayka hatte ihn kurz verlassen, etwas hatte ihre Neugierde geweckt. Als sie durch die Schatten der dunklen Nacht schlich, erkannte sie im Schutz der hohen Tannen einen Elb mit einem Pferd, der Targoin im Licht der Sterne so ähnlich war, dass es in ihr Herz schnitt. Es ging eine alte Magie von ihm aus, die sie beunruhigte und gleichzeitig anzog. Ein kleines Leporidenmädchen hatte er bei sich gehabt, die er nicht dazu bewegen konnte, leise zu sein. Unentwegt plapperte sie vor sich hin. Ein Umstand, der gefährlich war, wenn Maledine durch die Gegend ritten. Das schien dem Elb, der offensichtlich ein Kundschafter im Dienste des Königs der Westmark war, ebenso bewusst zu sein. Wenn sie das Geplapper richtig verstanden hatte, hieß das Mädchen Leula, das Pferd Foc und den Kundschafter nannte sie Averloron. Aus dem Gespräch entnahm Rayka, dass der Kundschafter den Auftrag hatte, die Prinzessin aufzuspüren und zurück nach Silbrarillia zu bringen. Unterwegs hatte er die Fährte einer Wargin aufgenommen und durch die Spuren herausgefunden, dass Orks die Prinzessin entführt hatten. Rayka erinnerte sich nur zu gut, wie sie als Warg versucht hatte, die Orks daran zu hindern. Einen Augenblick hatte sie überlegt, ob sie sich zu erkennen geben sollte. Doch in diesem Moment kreischten die Schattenpferde der Maledine. Sie schienen ganz in der Nähe zu sein. Rasch ergriff der Kundschafter das Leporidenkind, schwang sich auf das Pferd und floh in die Nacht. Ebenso schnell rannte Rayka zurück unter den schützenden Schatten zu Lavilija und Zeya, in der Hoffnung, keine magischen Marker hinterlassen zu haben. Erstarrt horchten sie in die Nacht. Die schwarzen Ritter auf ihren ebenso schwarzen, magischen Pferden, die wie Bluthunde jede Witterung aufnehmen konnten, tappten durch die Dunkelheit. Manchmal waren sie verdammt nah gewesen. Doch schon bald trabten sie in eine andere Richtung davon. Vielleicht auf der Jagd nach diesem blonden Kundschafter. Dennoch wagten Rayka und Lavilija lange Zeit nicht, den Schatten zu verlassen. Die Feuerelbin wunderte sich, dass sich eine Meisterin des Lichts auf Schattenmagie verstand. Doch die Lichtelbin sagte immer wieder: »Ich bin durchaus fähig, dazuzulernen. So schlimm die Zeit auf Morband war, so war sie doch lehrreich. Ich habe verstanden, wie die Marroval sich der Schattenmagie bedient.«

»Du willst sie mit den eigenen Waffen schlagen?«

»Wenn es nötig ist, ja!«

»Aber hast du mir nicht selbst gesagt, dass der Zweck nicht alle Mittel heiligt? Fürchtest du nicht, dass der Einsatz dieser verdorbenen Magie dich verderben könnte?«

Für Raykas Geschmack winkte die erleuchtete Lichtelbin viel zu rasch ab. Irgendwie wirkte sie verändert. Ob das bereits an den Auswirkungen der Schattenmagie lag? Andererseits: Konnte sie das nach diesen Erlebnissen wundern? Die Marroval und der Dunkle Herrscher hatten Lavilija im Verlies besucht, wahrscheinlich hatten sie die heilige Elbin gefoltert. Rayka versuchte, auf andere Gedanken zu kommen und erinnerte sich mit wohligem Schauern, wie Targoin sie geküsst hatte. Es schien Ewigkeiten her zu sein. Doch damals wie heute löste die Erinnerung einen Gefühlssturm in ihr aus. Ein erster und letzter Kuss, dachte sie bitter. Das letzte Mal, als sie Targoin gegenüberstand, hatte er sie fast erschossen. Das war gewesen, nachdem er den Blutschwur geleistet hatte. Sein Gesicht mit den unsichtbaren Narben, die ihm die Marroval zugefügt hatte, war noch voller Asche und Ruß, durch die Berührung der verkohlten Syra.

Westliche Nordlande, Morland, Vulkanburg Morband

Gentia beobachtete die skelettierten Überreste ihres Dunklen Herrschers: Welch bemitleidenswerten Anblick er bot, dieser Alboze. Dieser Möchtegerngott. Wie schwach er war. Die kleine Rothaarige und die Lichtelbin hatten ihm übel mitgespielt. Diese Feuerelbin musste sehr machtvoll sein. Gentia hatte gefallen, was sie einst in dem Ekstaseritt mit dem hübschen Waldelb gesehen und gespürt hatte. Die Kleine hatte so viel, wonach sie selbst sich sehnte. Das Element der magiebegabten Feuerelbin war das Feuer. Sogar ihre Seele war flammend. Eine Seele, die sich das Vampirweib gern einverleibt hätte. Vielleicht würde diese sie von innen wärmen. Und noch etwas hatte die Rothaarige, das sie begehrte. Den Waldelb. Targoin, der schöne Blonde mit der athletischen Figur. Niemand hatte bisher einen Ritt mit ihr überlebt. Dass der widerliche Große Gnom ihr dieses Spielzeug unter den Klauen weggeschnappt hatte, nahm sie persönlich. Targoin musste stark und widerstandsfähig sein. Und er war voller Leidenschaft. Das machte ihn für sie anfällig. Seine größte Schwachstelle war sein gütiges Herz, das für die Feuerelbin schlug. Etwas, das er zwar zu ignorieren versuchte, das ihn aber stets beschäftigte und irritierte. Und seine Schuldgefühle, dachte die Marroval grinsend. Als ihr bewusst wurde, dass ihre Gesichtszüge verräterisch entglitten, warf sie rasch einen Blick auf Morren. Doch das verbrannte Skelett mit dem rosa schlagenden Herzen eines Menschen lehnte immer noch am Altar und rührte sich nicht. Seine Aura schien erloschen, wahrscheinlich kam so sein Geist zu Kräften. Auf jeden Fall spürte Gentia, dass sie im Moment völlig unbeobachtet war. Wie gut! Sie gönnte sich einen Augenblick der Muße, ließ ihre Gedanken wandern, die aber immer wieder zu den drei Elben zurückkehrten. Das Feuer, das Licht und der Schatten bildeten den Kreis um den Auserwählten. Feuer, Licht und Schatten. Welch kraftvolle Zauber. Sie blickte erneut zu Morren. Noch vor einer Weile hatte sie ihn gefürchtet. Eine Furcht, die von Respekt getragen war und auch von Stolz. Dem Stolz, seine Ausgewählte zu sein, seine Geliebte und Vertraute. Viel hatte er ihr beigebracht. Über Zauberei, schwarze Magie und über Macht. Ihre größte Macht war die über ihn. Sie hatte gelernt, ihn über ihre Dienste im Bett für sich einzunehmen. Er hatte versprochen, sie zu seiner Königin machen. Aber bei dem Ritual hatte sie gespürt, dass sie sich nicht sicher sein konnte. Gegen jede Absprache wollte er ihr das Seelenlicht der Prinzessin nicht überlassen. Fast wäre sie vergangen vor Qual, vor Gier. Er wusste doch, dass sie nach Seelen hungerte. Und dennoch beanspruchte er diese für sich. Mit Genugtuung hatte Gentia registriert, dass die Elbinnen die Reste der Prinzessin mitgenommen hatten. Hoffentlich überlebte die Menschin, damit sie sich die Seele holen konnte. Und nun lag der Dunkle Herrscher da. Ohne Magie, nur ein Haufen Gebeine und Asche. Das bisschen Zauberkraft, das noch da war, hielt ihn zusammen und hatte ihm ein lächerliches rosafarbenes Herz wachsen lassen. Erneut sagte sie sich: Feuer, Licht und Schatten gegen Asche. Diese Allianz musste geschmiedet sein, bevor der Dunkle Herrscher der Asche wieder entstieg. Aber sie musste vorsichtig und mit Bedacht vorgehen. Wenn Morren ihren Verrat witterte, würde am Ende sie zu Asche zerfallen. Die Kriegerpriesterin gierte nach Macht, sah sich als die Schwarze Königin, trunken und beseelt durch das Feuer und das Licht der Elbinnen. Doch wie sollte sie es anstellen? Gefangen im Turm. Bisher hatte kein Scherge des Dunklen Herrschers sie vermisst. Vielleicht trauen sie sich nicht, Seine Genialität bei den Amtsgeschäften zu stören, dachte sie zynisch. Oder sie ließen einfach eine hohe Dornenhecke um die Festung wachsen, bis sie alle nur noch eine Legende waren. Bestimmt waren sie froh, sie vergessen zu können. Vergessen! Sie sah sich selbst, wie ihr mageres Fleisch verweste. Vergessen und verflucht! Nein, so durfte sie nicht enden. Sie war nur geringfügig verletzt und bei Weitem stärker als dieses Häufchen unerträglicher Schmutz, der sich zur Weltenherrschaft berufen fühlte.

Wind kam auf, dunkle Wolken schoben sich über diese dürre Sichel. Auch hier hatte der große Morren versagt. All das für nichts. Moruna? Ein Himmelskörper, der mächtiger sein sollte als die der Götter, doch existierte diese Moruna bisher nur in der Vorstellung des Zauberers. Der Wind verfing sich in Gentias Haar und zauste daran. Kleine Steinchen, die in der Nähe der Zinnen gelegen hatten, rollten nun auf sie zu. Fasziniert beobachtete sie, wie drei von ihnen wie zielgerichtet auf sie zukamen. Doch dann drehte der Wind. Bevor die Steinchen wieder wegrollen konnten, schnappte sie mit ihren knochigen Fingern zu und begrub sie in ihrer Faust. Dort tobten sie, wehrten sich vehement. Eine eigenartige Magie schien in ihnen zu wohnen. Ihre Oberfläche war aufgeraut und sie stachen in ihre Handinnenflächen. Durch die kleinen Wunden drang die Magie in sie. Seufzend spürte sie, wie die Magie durch ihre Adern rauschte, sie stärkte und magisch auflud. Ihr Herz schlug nun kräftig, auf ihrer Haut prickelte es und ihre Brustwarzen richteten sich auf. In ihrer weiblichen Körpermitte klopfte es unruhig. Nur mit Mühe konnte sie ein erregtes Zischen unterdrücken, doch die gespaltene Zunge leckte begierig über die Lippen. Ein Blick auf Morren beruhigte sie. Seine Aura war noch im kosmischen Schlaf gefangen. Daher gönnte sie sich ein wollüstiges Stöhnen. Bilder des athletischen Elben flammten auf, wie sie ihn genommen hatte. Voller quälender Lust drückte sie ihre Faust in ihre Weiblichkeit und gab sich ihrem Verlangen hin. Dabei spürte sie, dass die Steinchen aufgebrochenes Pechstein waren. Durchdrungen von der Magie der Feuerelbin. Und ebenso schwangen Lichtstreifen aus dem Zauber der Lichtelbin mit. Gentias Leib brannte, sehnte sich nach dem Elb. Gleichzeitig erinnerte sie sich an den Auftrag, den ihr der Dunkle Herrscher gegeben hatte. Sie sollte die Zauberschmiedin auftreiben, damit sie die Moruna schmiedete. Die fremde Magie der Elbinnen befeuerte Gentias eigene Schattenmagie. Plötzlich fühlte sie sich voller Kraft. Warum nicht alles miteinander vereinen? Feuer, Licht und Schatten. Sie wusste, dass sie alle drei auf gewisse Art mit dem Waldelb verbunden waren. Lüstern leckte sie über ihre Lippen, als sie die Schattenmagie losschickte, um den Elb mit dem Goldhaar zu finden. Falls Morren sie erwischte, würde sie ihm sagen, dass sie nur seine Befehle befolgte.

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