Drachendüster Leseprobe

Ereignisse, als Sonne und Mond noch im Sterben lagen

Herbst des Jahres 581 des götterlosen Zeitalters, als Sonne und Mond im Sterben lagen

Sekundäre Dimension, Apeiron, Eisenland, im hohen Norden des Ewigen Eises, an einem Vulkan in der Nähe des Negromons

Nachdem der Drache den Lavakan von der gläsernen Brücke geklaubt hatte, war er, so schnell seine Flügel ihn tragen konnten, in seinen Palast im Negromons geflogen. Triumphierend hielt er seinen Schatz in den Klauen. Schwarzschwinge, der Gewaltige, hatte ihn dem ehemaligen Feuergott geraubt.

Tage und Nächte verbrachte er seitdem damit, ihn brechen und in Segmente teilen zu wollen. Aber sosehr er sich anstrengte, welchen Zauber er auch webte, der Stein blieb unversehrt. Er fachte seine Feuer mit heißen Ölen an, dennoch lag der Lavakan kühl in seinen Klauen. Flüche und böse Wünsche drangen aus dem alten Vulkan, doch das rührte das Juwel mit dem Odem DES EINEN nicht. Wie konnte er es bloß aufbrechen? Schwarzschwinge gierte nach seinem Inhalt, der ihn zum mächtigsten Wesen aller Welten machen würde. Schlaflos blätterte er in den Werken und Schriften seiner Drachenbibliothek. Und dann wurde er endlich fündig.

»Das heißeste Feuer, mit dem jedes Gestein zu schmelzen ist, ist das Sonnenfeuer! Und sieh hinaus. Die Sonne wirft mit Feuerbrocken. Ich werde dich in ein solches Geschoss halten!«, teilte er dem Stein jubelnd mit. Getrieben schnappte er sich das Kleinod und verließ seinen Palast.

Westmark, Silbrarillia, Götterberg

Averloron hatte die Schaltung, wie der Transfer der gebündelten Seelen durch das magische Gewebe genannt wurde, auf dem Götterberg vorbereitet, so wie die Geistheilerin es befohlen hatte. Bruna und sie hatten die Franique-Energie gesammelt, um genug Magie bereitzustellen, damit Bael in dem Ritual den neuen Himmelskörper an den Himmel zu werfen vermochte.

Sonne und Mond waren nicht mehr zu retten. Ein unnatürliches, unheilvolles Brausen lag in der Luft. Die Hitze, die überall flirrte, war unerträglich. Immer wieder rasten Feuerbrocken auf Eisenland zu. Averloron verfolgte ihre Bahnen. Bisher fielen sie weit im Norden und im Osten hinunter. Aber das konnte sich jeden Moment ändern.

Da er für die Organisation mitverantwortlich war, beobachtete er, wie die Geistheilerin mit Lavilija die Vorbereitungen für das Ritual traf. Sie schmückten mit Ornamenten einen Altar, der auf einem Hügel stand. Baelische Symbole, erkannte Averloron verwundert. Indes handelte es sich um die Baelmonne, die Bael mit Raykas Hilfe vollendet hatte.

Averloron war stolz auf die Tochter seiner ehemaligen Geliebten Amruielle. Doch nun gehörte sein Herz einer Menschenprinzessin. Auch wenn Zeya und er nur durch Rosenquarzketten aneinandergebunden waren, die einst Amruielle geschmiedet und Rayka dupliziert hatte, waren seine Gefühle für das junge Mädchen tief und echt. Wie es ihr wohl erging? Mit dem Schatten in ihrem Schoß? Ihre Mutter, die Königin, und Leula waren bei ihr. Sie sollte sicher im Palast aufgehoben sein. Gerne wäre er jetzt bei ihr, wo das Ende Eisenlands nahte, auch wenn er hoffte, dass es abzuwenden war.

Er ließ sein geübtes Kundschafterauge schweifen. Den Festplatz hatte er hergerichtet. Überall standen Fackeln und Kohlebecken und andere rituelle Gefäße. Die Zauberer und Gelehrten drängten die Festwiese hinauf, um sich um den Altar zu versammeln. Jeder Magier wurde gebraucht.

Arme Rayka! Ihr hatte man die Magie genommen, um ihr Leben zu retten. Wie sollte sie damit umgehen? Er hatte erlebt, dass sie und die Magie miteinander wie eine Einheit verwoben waren. Doch hatte er gehört, dass sie und Targoin dabei sein würden. Als Ehrengäste. Und dann sah er sie. Sie trug ein rotes Kleid. Und Targoin, in eine blaue Robe gehüllt, führte sie am Arm.

Averloron wollte rufen, aber Lavilija, die plötzlich neben ihm stand, hielt ihn davon ab.

»Ich glaube, die beiden brauchen etwas Zeit für sich«, schrie sie, um das Tosen zu übertönen.

Er nickte. Das konnte er gut verstehen. »Habt ihr alles? Braucht ihr noch irgendwas?«, brüllte er zurück.

Sie schüttelte den Kopf.

Das Tosen verstärkte sich und schluckte alle Geräusche. Mit Entsetzen verfolgte Averloron einen Lavabrocken, den die Sonne diesmal auf die Westmark abfeuerte. Er rannte den Hügel hinauf, um besser sehen zu können. Von hier aus konnte er überblicken, wie Silbrarillia im Westen an das Meer grenzte. Im Norden verlief an der Stadtgrenze der Weos und dorthinein fiel der glühende Brocken. Nur wenige Hundert Schritte von der Stadt entfernt. Sie blieb verschont. Das war noch einmal gut gegangen.

Das Wasser klatschte ans Ufer und kochte das Schilf, während tote Fischleiber an Land geschleudert wurden. Averlorons Blick wanderte nach Silbrarillia, der trutzig anmutende Palast thronte dort auf einem der Hügel. So klein er von hier auszumachen war, strahlte er Beständigkeit aus.

»Wenige sind auf den Straßen!«, schrie Lavilija.

Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihm gefolgt war. »Sie fühlen sich in den Häusern sicherer!«, mutmaßte er.

Ein ohrenbetäubendes Heulen zwang ihre Blicke wieder an den Himmel. Der zerteilte, ausgeblutete Mond hing nur noch an einem Zipfel. Aber dieses Pfeifen und Dröhnen kam nicht von ihm. Da! Ein Stern verrutschte, konnte sich nicht mehr halten. Er fiel. Wie ein Komet nahm er Fahrt auf und raste auf den Mond zu. Mit Wucht knallte der Stern auf die Spitze der oberen Mondhälfte und verhakte sich dort. Mit angehaltenem Atem beobachtete Averloron, wie die Hälfte mit dem zusätzlichen Gewicht kämpfte. Es knirschte und ganz langsam drückten sich die beiden Teile weiter auseinander. Das letzte Stück riss auf und schließlich fiel die Mondhälfte immer schneller werdend Richtung Eisenland. Die Sonne warf Feuerfackeln hinterher. Die Erde bebte. Fast hätte er das Gleichgewicht verloren.

Auch Lavilija schwankte, rasch fasste er sie am Ellenbogen und verhalf ihr zu einem festen Stand. Überall ertönten Schreie und Rufe. In der Stadt zerbrachen die Türme und Mauern, Dachziegel wirbelten durcheinander. Plötzlich hörten sie ein Brausen. Was war das? Dann wurde es dunkel, nur die Myriaden Sterne gaben etwas Licht. Der Blick zum Himmel verriet, dass die Sonne ausgebrannt und mit einer weißen Schicht, die an Eis erinnerte, überzogen war. Wenigstens explodierte sie nicht. Die Temperatur fiel innerhalb von Lidschlägen. Es wurde bitterkalt. Tosender Sturm verschluckte die Schreie und das Wehklagen. Voller Sorge schaute Averloron zum Palast, noch stand er dort.

»Ich möchte bei Zeya sein. Falls das Ritual schiefgeht.«

»So darfst du nicht denken. Triwald ist bei der Königin.«

»Nein, das ist er nicht, denn er muss in Silbrarillia für Ordnung sorgen!«

Die Mondhälfte war offenbar ins Meer gefallen. Gellende Schreie, die sogar das Tosen und Brausen übertönten. Der Wasserspiegel stieg, bis sich eine Flutwelle, so hoch wie der Götterberg selbst, vor den Steilufern aufgebaut hatte.

»Lauf, Averloron. Hier gibt es für dich nichts mehr zu tun«, brüllte Lavilija.

»Danke!« Er drückte noch einmal ihren Arm und kämpfte sich einen Weg durch die Menge frei.

Im Laufen sah er, wie sich die Flutwelle über die Felsen und Stadtmauern ergoss und daraufhin die Straßen und Gassen flutete. Das ging so rasend schnell. Wie sollte er rechtzeitig zum Palast kommen?

Keuchend rannte er den schmalen Weg an den Statuen, Brunnen und kleinen Oasen vorbei. Der Sturm zerrte an seiner Kleidung. Seine Augen brannten. Da war das Tor. Dort hatte er Foc angebunden. Er betete inbrünstig, dass sich das schreckhafte Tier nicht losgerissen hatte. Dann vernahm er schrilles Wiehern. Der Hengst zog panisch an dem Strick, an dem er festgebunden war. Lange würde der auch nicht mehr halten.

Im letzten Moment gelangte Averloron zum Pferd. Er löste den Strick, erfasste den Zügel und sprach beruhigend auf Zoc ein, der offensichtlich froh war, ihn zu sehen. Mit einem geübten Satz sprang er in den Sattel, wendete das Tier und sprengte im wilden Galopp den Weg hinunter. Die Wassermassen mochten längst den Palast erreicht haben, aber er musste es versuchen. Dann zerrissen Donner und ein gewaltiger Blitz den schwarzen Himmel. Zoc erschrak und stieg, doch Averloron trieb ihn unbarmherzig weiter.

Ewiges Eis

Schwarzschwinge beobachtete, wie erneut ein Feuerbrocken die Sonne verließ. Es erforderte Mut, ihm entgegenzufliegen, den Stein ins fallende Feuer zu werfen und ihn dann auch noch rechtzeitig wieder aufzufangen.

Zwei Mal hatte er sich nicht getraut und nur dem Sonnenfeuer nachgesehen, wie es auf Eisenland niederging. Inzwischen war ein Orkan aufgekommen, der heftig an seinen Flügeln riss. Der Himmel verdunkelte sich. In der Ferne donnerte es.

Er schwebte in der Luft und schätzte ab, wann der Brocken, der wie eine Feuerkugel von Sonnenflammen umgeben war, an ihm vorbeifliegen würde. Krampfhaft verfolgte er die Flugbahn, als er mit Schrecken erkannte, dass eine Mondhälfte von einem Stern in die Tiefe gerissen wurde.

Allzu bald raste der Felsbrocken auf ihn zu. Jetzt oder nie! Den Lavakan legte er sich zwischen den Zähnen zurecht und spuckte ihn mit aller Kraft durch das Feuer über den riesigen Brocken hinweg. Rasch setzte er dem Edelstein hinterher, das Felsstück erschien durch die Entfernung inzwischen kleiner.

Da sah er, dass der Lavakan Feuer gefangen hatte. Durch die Kräfte, die um die Feuerkugel wüteten, wurde er durch die Luft geschleudert. Schwarzschwinge musste ihn erreichen. Tatsächlich schaffte er es und fing ihn auf. Doch dann begann der Drache zu trudeln. Die Zerstörung des Mondes wirkte sich fatal auf seine Orientierung aus. Plötzlich wusste er nicht mehr, wo oben und unten war. Etwas Hartes schlug ihm auf den Kopf, Schwärze umfing ihn und er fiel …

Silbrarillia

Averloron sprengte auf Silbrarillia zu. Die Straßen waren geflutet. Von Weitem sah er, wie die Bewohner sich auf die Hügel der Stadt, auf die Stadtmauer, ihre Türme oder auf die Dächer ihrer Häuser retteten. Das Wasser reichte ihm schon bis zu den Steigbügeln, Foc hatte es schwer, gegen die Fluten anzukommen.

Die einzige Möglichkeit war, von Osten in die Innenstadt zu gelangen. Dieser Teil lag wesentlich höher als der Meeresspiegel.

»Mein braver Junge!«, feuerte er sein Pferd an. Doch inzwischen war das Wasser so hoch, dass Foc schwimmen musste. Averloron glitt hinunter und hielt sich seitlich am Sattel fest. »Zusammen schaffen wir das!«, machte er sich und dem Tier Mut.

* * *

Bruna hatte, nachdem sie die Franique-Energie gesammelt und sämtliche magische Kraft für das Ritual bereitgestellt hatte, darauf verzichtet, bei diesem einmaligen Akt zuzusehen.

Als das Brausen und Toben begann, bat die Geistheilerin sie, in die Stadt zurückzukehren.

»Die Natur wehrt sich vehementer, als ich vermutet habe. Silbrarillia ist in großer Gefahr. Nimm diese Leuchte und lege sie auf die Waagschale der Silbrastatue auf dem Marktplatz. Sie wird ein wenig Schutz bieten.«

Bruna konnte sich kaum vorstellen, wie diese Leuchte, die winziger war als ihr Daumen, eine solche Wirkung haben sollte. Aber machtvolle Zauber lagen ja durchaus in den kleinen Dingen wie in Edelsteinen und Bärenhaaren. So nahm sie das Kleinod an sich und fragte lediglich, wie sie denn rechtzeitig in die Stadt gelangen solle. Der Abstieg dauerte seine Zeit, bestimmt eine halbe Stunde. Und bei dem Orkan länger.

»Du wirst früh genug da sein«, versicherte ihr die Geistheilerin und küsste sie auf die Stirn.

Dieser Kuss verlieh ihr Flügel. Die Geistheilerin bugsierte sie durch das magische Netz, welches sie aus dem Marktbrunnen spie, der in Wassermassen versunken war. Prustend schwamm Bruna an die Oberfläche.

Blitze erhellten die Nacht. Das Wasser, das durch die Gassen strömte, umspülte schon den Pferdeleib und den Körper der Reiterin-Skulptur. Silbra auf Schattenschimmer. Nur die Köpfe und die erhobene Hand mit der Waage schauten heraus. Bruna musste gegen die Strömung ankämpfen, um zur Statue zu gelangen. Noch ein paar Züge, dann erreichte sie den Arm.

Das Wasser stieg, der Himmel wurde schlagartig erhellt. Ein Blitz fuhr in den Dachstuhl eines der Häuser, die den Marktplatz säumten. Nur wenige Schritte von ihr entfernt. Das Dach fing sofort Feuer und loderte hell auf. Die Leute, die sich auf dem First gerettet glaubten, schrien und sprangen in die Wasserströme.

Bruna durfte ihnen jetzt nicht zu Hilfe eilen, zuerst musste sie die Leuchte auf die Schale legen, bevor diese von den Fluten überschwemmt wurde. Beherzt packte sie den Arm der Silbra und setzte einen Fuß auf den gebeugten Oberarm. Die nasse Kleidung zog an ihr, sie schnaufte. Ihre Sohlen rutschten ab. Beim nächsten Versuch klappte es. Sie kletterte hinauf und kniete sich auf eine der Waagschalen. Mit klammen Fingern griff sie in ihre Wamstasche und ergriff die Leuchte. Wie ihr die Geistheilerin gezeigt hatte, drehte sie an dem oberen Teil. Tatsächlich begann sie zu flackern. Ein blaues Licht breitete sich auf der Wasseroberfläche aus.

Erschöpft kniete sie sich hin und beobachtete staunend das Schauspiel. Der Schein bildete eine blaue, feste Schicht, die das Wasser über den Brand schwappen ließ, sodass das Feuer gelöscht wurde. Dann drückte diese Scheibe die Wassermassen in die Tiefe. Die Leute, die in die Fluten gesprungen waren, versuchten, dem blauen Leuchten zu entkommen. Offensichtlich fürchteten sie, ebenso zerdrückt zu werden. Doch das Licht ging durch sie hindurch. Handbreit für Handbreit sank der Wasserspiegel, bis Bruna voller Erleichterung die Pflastersteine erkennen konnte.

Nach kurzer Zeit verschwand das Wasser im Brunnen und die Leute standen sicher auf einem mit wenigen Pfützen bedeckten Boden. Was für ein großer Zauber in der Leuchte steckte.

Plötzlich gewahrte Bruna, wie ein Reiter durch die Gassen galoppierte. Als er den Marktplatz passierte, erkannte sie Averloron auf seinem Pferd. Sie sprang auf die Füße, schrie und fuchtelte mit den Armen, als ganz unvermutet ein Blitz das schwarze Firmament teilte.

Der Westelb schien sie zu bemerken, er parierte Foc.

Die gezackte Linie am Himmel zielte auf Bruna. »Nein!«, entfuhr es ihr. Sie erkannte das Entsetzen auf Averlorons Gesicht, dann war sie nur noch glühender Schmerz.

* * *

Averloron sah, wie der Blitz in Brunas Körper fuhr. Wie ein gefällter Baum stürzte sie um und schlug hart mit dem Kopf auf dem Schattenschimmer auf. Die Leuchte, die das blaue Licht geliefert hatte, zerstob zu Asche, die der Wind in alle Richtungen verstreute. Leblos hing die Waldelbin auf der Schale.

Rasch galoppierte er zur Statue, sprang von Foc und kletterte zu ihr hinauf. Er kniete neben ihr und zog ihren Kopf auf seinen Schoß. Keine Atmung konnte er feststellen. Keinen Herzschlag. Wie konnte er das Herz bloß wieder zum Schlagen bringen? Magie fand er nicht. Wann war endlich die Baelmonne am Himmel?

Als er Bruna hilflos auf die Brust klopfte, merkte er, wie schwammig sich ihre Muskeln anfühlten. Einer Eingebung folgend, trommelte er auf ihren Brustkorb. Mit einem Mal hörte er ein Raunen in der unnatürlichen Stille.

»Seht!«, rief jemand.

Unwillkürlich schaute Averloron zum Himmel und bemerkte, wie etwas Leuchtendes durch die Finsternis flog. Die Baelmonne!

Bruna! Er schüttelte ihren Körper heftig, doch seine Magie wirkte nicht. Hilfe suchend sah er sich um. Bewohner kletterten vorsichtig von ihren Dächern. Einige humpelten die Gasse hinauf, die zu Silbramagica führte.

»Bruna!«, sagte er eindringlich. »Halte durch. Ich bringe dich zu Heiler Mied in die Krankenstation.« Er warf noch einen Blick zum Palast, doch da die Fluten zurückgegangen waren, schien Zeya außer Gefahr zu sein.

Plötzlich waren doch helfende Hände da. Ausgerechnet zwei Kobolde kletterten zu ihm empor und halfen, die leblose Waldelbin von der Statue zu bugsieren. Foc wartete brav. Averloron sprang auf seinen Rücken, nahm Bruna vor sich und hielt sie zwischen den Armen, während er die Gasse hochgaloppierte. Die Baelmonne leuchtete ihm den Weg. Doch was war das? Sie schien immer näher zu kommen. Der Himmelskörper hielt nicht am Firmament.

 

 

Leseprobe Prolog Aschengier

1.Prolog

Apeiron (Sekundäre Dimension), Eisenland

Im Jahr 520 des Götterlosen Zeitalters

Königreich Dion, Sylvana, oder auch das entrückte Gebiet der Waldelben ins Legendenreich, mitten im Silberwald

Die Zauberschmiedin rannte, taumelte, stürzte, rappelte sich auf und hetzte weiter. Bald würde sie die Grenzen Sylvanas erreicht haben. Das Feuer in ihrem Unterleib brannte und loderte erneut auf. Keuchend brach sie in die Knie und spürte den Schweiß, der von ihrer Stirn perlte. Jetzt, da sie die Warge abgeschüttelt hatte, jagte sie der Schmerz. Noch eins musste sie unbedingt erledigen, bevor das Feuer sie von innen verzehrte und ihre eigene Zauberkraft sie in Asche aufgehen ließ. Als ihr letztes Vermächtnis wollte sie wichtige Nachrichten als Träume und Visionen in den Äther schicken. Mit dem Gedanken an Amruila, die sie in der Höhle gebettet wusste, kämpfte sie sich hoch. Weiter! Der Plan, ihr Kind als Waffe gegen Morren einzusetzen, konnte nur aufgehen, wenn sie ihr Wissen teilte. Mit Viator, dem Weltenwanderer, dem die Geschicke von Apeiron noch am Herzen lagen. Die letzte Instanz, der Amruielle vertrauen mochte, seitdem die Götter Eisenland verlassen hatten. Noch den Hügel hinauf, dann würde sie den Silberfluss sehen, der die östliche Grenze von Sylvana bildete. Noch war sie vor den Bogenschützen sicher, die die Waldelben an ihren Grenzen positioniert hatten, um jeden Eindringling, der doch einen Fuß ins Reich der Legenden setzte, erbarmungslos zu erschießen. Im Moment wurde jeder verfügbare Elb im Kampf gegen die Warge gebraucht. Schnaufend erklomm sie den Gipfel des Hügels und beobachtete mit Entsetzen, wie aus ihren Fingerspitzen kleine Flammen züngelten. In ihr tobte das Feuer des Bael. Sein Vermächtnis an seine Nachkommen. Seine ganz eigene, perfide Rache. Amruielle besaß durch ihre Mutter eine göttliche Seele, die immerfort mit dem verdorbenen Erbteil eines gefallenen Gottes kämpfen musste. Lykos, ihr Bruder, hatte es nicht geschafft, sich dem Bösen zu verwehren. Traurig dachte sie an die anderen fünf Geschwister, die der Dunkle Herrscher nach ihrer Flucht aus Morband, gejagt und zu magischer Asche verbrannt hatte. Wie er gierte auch sie nach der Asche, da durch das Einatmen die Welt bunter und das Leben leichter wurde. Nur durch den Rausch, den die Asche ihr schenkte, hatte sie ihr Dasein in den Wurzelschächten der Vulkanburg ertragen und ihren Plan verfolgen können.

Erschöpft sank sie nieder. Das Wasser des Silberflusses glitzerte so schön wie die Facetten des klaren Kristalls, den sie Amruila in die Decke gesteckt hatte. Glücklich wie die Asche konnte er machen.

Einfach hier sitzen, von ihrem Kind und dem Leben mit Averloron träumen, das sie sich wünschte und das ihr nicht bestimmt war. So wäre es leichter, den Flammentod zu ertragen. Etwas Asche hatte sie noch ihrem Wams. Die nächste Schmerzwelle jagte durch ihren Körper, sie krümmte sich auf dem felsigen Boden, der von Grasbüscheln durchsetzt war. Jeden Halm sah sie überdeutlich vor sich. Manche waren gelb, andere hatten dunkelgrüne Streifen. Es gab kurze, lange, geschwungene. Ihr Wams wurde dünn und schwarz, so wie Papier, das man über eine Kerze hält. Einfach hier liegen bleiben, in den Himmel blicken, die wattigen Wolken beobachten, wie sie wundersame Wesen bildeten. Das hätte sie gern mit Amruila getan. Kind, was ist das? Ein Schaf? Nein, es sieht aus wie ein Leporid. Was? Du hast noch nie ein kaninchenköpfigen Kobold gesehen. Dabei sind sie so niedlich. Das gedankliche Zwiegespräch mit einer fünfjährigen Feuerelbin, die sie aus großen grauen Augen anstarrte, zauberte Amruielle ein Lächeln ins Gesicht und ließ die neue Schmerzwelle erträglich werden.

Sie atmete tief ein und aus. Dann zwang sie sich, sich aufzusetzen. Die Sonne schien hell und warm. Ein schöner Tag. Auch zum Sterben? Du musst die Visionen losschicken, sonst war alles umsonst. Das Opfer darf nicht vergebens sein. Mit Tränen in den Augen straffte sie sich und der Wind strich ihr tröstend übers Gesicht. Da sie kein Nachtmahr war, der gezielt und ohne große Mühen Alben verschicken konnte, brauchte sie einen magischen Ort dazu. Ihr Ziel war der Arthemishain gewesen, der durchdrungen von Magie war. Weit im Westen der heutigen Westmark entsprang eine der wenigen Quellen. Doch den weiten Weg würde sie in ihrem Zustand nicht mehr schaffen. In Lukia, dem Nachbarland von Dion, gab es ebenso viel Magie. Dennoch würde es immer noch einige Tagesreisen kosten, bis sie in den lichten Wäldern den richtigen Ort gefunden hätte. Sie musste die Visionen losschicken, dabei waren sie wild und unberechenbar, wie ihre Schöpferin. Es war nicht einzuschätzen, wann die Nachrichten bei den Empfängern eintreffen würden. Ob sie eindeutig oder verzerrt waren, ob sie einmal geträumt werden würden oder öfter erschienen. Nur einmal oder immer wieder. Oder ob sie sich nicht vorher im Äther auflösten. Das Risiko musste sie eingehen, sie hatte keine andere Wahl. Das Tröstliche war, dass Morren nicht wissen konnte, dass sie eine Tochter geboren hatte. Wieder überrannte sie eine Welle eines feurigen Schmerzes. Die Tränen, die ihr über die Wangen rollten, schienen aus Lava gemacht und verbrannten ihre Haut. »Ich muss es jetzt hier tun. Mir bleibt keine Zeit!«, seufzte sie. Bevor ihre Kleidung verkohlte, riss sie sich die heißen Fasern vom Leib, suchte in den Resten der Tasche nach dem Beutelchen mit der magischen Asche, die sie von den Aschefeldern um die Burg Morband mitgehen lassen hatte. In ihr war die Magie sogar von Einhörnern, heiligen, weißen Hirschen, Drachen und anderen hoch magischen Wesen, die sie berauschte. Wie gern würde sie diese inhalieren und den Schmerz vergessen. Rasch kramte sie weiter und fand die alte Wargpfote, ein Andenken an ihren Lieblingswarg Merlynn. Auf diese Weise war ihr alter Weggefährte immer gegenwärtig und oft war Wargerei damit leichter durchzuführen. Jetzt konnte Amruielle jeden magischen Beistand brauchen. Sanft streichelte sie über das silberne Fell. Bald werde ich bei dir sein, mein Freund.

Die nächste Welle traf sie so unvermittelt und besonders hart, dass sie gegen die ewige Schwärze ankämpfen musste. So schnell ihre Hände, die aus heißen Lavaströmen zu bestehen schienen, es noch konnten, verteilte sie die magische Asche kreisförmig um sich. Dann setzte sie sich im Schneidersitz in den Kreis, legte die Wargpfote neben sich und fasste nach dem Rubin an ihrem Hals. In seinem Kern war Blut von Merlynns tödlicher Wunde. Heiliges Wargblut. Geopfert durch Liebe von einem verdorbenen Wesen des Bösen. Der Geist des Merlynn nahm Gestalt an, begrüßte sie schwanzwedelnd und leckte über ihr glühendes Gesicht.

»Danke, mein Freund. Dass du da bist und mir beistehst, in dieser schweren, letzten Stunde.«

Der silbergraue, zottelige Warg jaulte und setzte sich dann auf ihr Handzeichen brav neben sie. Der kühle Leib des Geistwesens kühlte ihren überhitzten Körper angenehm. Sie behielt den Rubin in der Hand und belebte die Asche, der nun Geister entstiegen. Sie erkannte die Konturen eines alten Drachens und eines weißen Hirschs. Amruielle erhob ihre Stimme und sang den magischen Tieren einen Willkommensgruß, in den sie einfielen. Dann verbanden sich ihre Auren, sie fasste ins Gewebe und fand die silbrigen Pfade, die wie Fäden die Träume transportierten. Sie sang den Spruch, um sie zum Vibrieren zu bringen. Daraufhin dachte sie an ihr Kind, dem sie so vieles zu sagen hatte. Dann an Averloron, mit dem sie Liebe verband und den sie bitten musste, ihr zu helfen. Und zum Schluss schickte sie eine Vision zu Viator, sodass er zum Weltenwandler werden konnte. Und als die den letzten Gedanken in die Traumpfade gespeist hatte, bat sie den weißen Hirsch, Averloron zu finden, und den alten Drachen, die Nachrichten an Viator zu bewachen. Zum Schluss schickte sie ihren geliebten Merlynn mit dem Auftrag davon, erst der erwachsenen Amruila zu erscheinen.

»Jetzt werde ich zu magischer Asche.« Der Gedanke, dass der Wind ihre Asche in allen Richtungen verwehen würde, tröstete sie, bis alles in Flammen aufging und sie ihrer Halbseele befahl, Korkros’ Hallen zu suchen.

So machten sich der weiße Hirsch, der alte Drache und der silberne Warg auf, ihre neuen Herren zu finden, um ihnen die Nachrichten in Träumen und Visionen zu überbringen. Doch sie irrten umher und konnten lange Zeit keine Aura aufspüren. Andere Unseelen, die auf den goldenen Pfaden nach einem Wirt suchten, bekämpften sie, wollten sie in die Tiefen des Nihelem stoßen. Der weiße Hirsch wurde von Untoten gefangen und lange Zeit gelang es ihm nicht, sich zu befreien. Auch für den alten Drachen, der die Unendlichkeit auf seinen unsichtbaren Schwingen durchstreifte, um den Weltenwandler zu finden, war es nicht leicht. Viator reiste durch die Welten und Dimensionen. Oft dachte der geflügelte Wurm, ihn ausgemacht zu haben, doch seine Spur verlor sich in der Unendlichkeit. Wenn der Große Gnom die Tore zu der Primären Dimension durchschritt, war er für ihn verloren, dorthin konnte er ihm nicht folgen. Also blieb dem Drachengeist nichts Anderes als sich vor das Nebeltor zu kauern und zu warten, bis der Reisende zurückkam.

Dem Warg jedoch gelang es, die kleine Feuerelbin zu finden, denn sie lebte an dem Ort, an dem Amruielle die Geister losgeschickt hatte. Noch durfte er jedoch der kleinen Amruila die Träume nicht überbringen, noch war sie zu jung. Merlynn vermisste seine Herrin, die ohne ihn zu den Hallen des Korkros geritten war. Die kleine Feuerelbin erinnerte ihn sehr an seine Herrin. Und da er als Geist nichts anderes zu tun hatte, als seinen letzten Auftrag zu erfüllen, wartete er darauf und beobachtete das kleine Kind, wie es im Dorf der Waldelben größer wurde. Doch Merlynn bemerkte bald den Argwohn, den die unmagischen Waldelben recht bald vor dem fremdartigen Kind verspürten. Argwohn und Angst vor der kleinen Elbin, die mit ihrer olivfarbenen Haut und der derben Gestalt nur wenig edel aussah.

Aber ihm waren die Pfoten in seinem Dasein gebunden, nichts konnte er ohne einen Befehl Amruielles tun. So litt er mit Rayden, wenn die Waldelben sie ungerecht behandelten.

Als Rayka im Jahr 580 ihren sechzigsten Geburtstag feierte und langsam zu einer jungen Elbin herangewachsen war, fand Merlynn, dass es Zeit für den ersten Traum war:

***

Rayka schreckte von ihrem Nachtlager auf. Und da sie sich selbst sehen konnte, wusste sie, dass sie immer noch schlief und träumte. Sie spürte, wie sich etwas in ihren Rücken bohrte. Rasch wirbelte sie auf die andere Seite, wobei sich ihre Beine in der Bettdecke verfingen und sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte, und starrte beklommen in zwei glühende Augen. Rayka schluckte, versuchte den Blick zu senken, da ihre Augen schmerzten. Tränen liefen ihr über die Wangen, aber selbst ihre Lider gehorchten ihr nicht. Solche Augen hatte sie noch nie gesehen. Sie waren von der Schönheit eines vollkommenen Diamanten. Sie glitzerten silbern und doch in allen Farben. Ein strahlendes, sphärisches Licht ging von ihnen aus, das Raykas Herz erwärmte. Jegliche Furcht fiel von ihr ab, auch jeder Kummer und jede noch so bedrückende Sorge war wie weggeputzt. Selbstvergessen wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. Der Schmerz war verschwunden, doch das alles wunderte sie nicht. Sie empfand nur Glück, das sie auflöste. Sie spürte weiter nichts als den Herzschlag des Seins und verging beinahe in seinem Rhythmus. Dann begann das Licht zu flackern, in seinem Innern pulsierte ein roter Schein. Eine Flamme, die leidenschaftlich emporloderte, sich zur Feuersbrunst erhob und das goldene Licht verbrannte. Mit einem Mal erstarb der Herzschlag. Rayka rang nach Luft. Der Trost, den sie wie eine Salbe empfunden hatte, zerrann. Das Glück verkohlte. Und sie wurde auf sich zurückgeworfen. Die zwei Augen blieben einen Wimpernschlag, doch es waren nur schöne Edelsteine, in denen feurig das Leben loderte. Dann lösten sie sich auf und um Rayka war nur noch Finsternis, die sie schwärzer als jede andere Dunkelheit empfand. Von ihr blieb nur die Asche eines armseligen Lebens.

***

Enttäuscht dachte Merlynn: Das war es? Tückische Traumreise. Hatte der Traum während der vielen Jahre etwa Schaden genommen? Wie sollte das arme Elbenmädchen denn jetzt wissen, dass es die Silbren waren, die sie gesehen hatte? Und konnte sie nach dem Traum erahnen, dass sie eine Feuerelbin war und eine Zauberschmiedin werden konnte? Wohl kaum. Mitfühlend beobachtete der Warggeist, wie Rayka nur langsam den Weg in die Wirklichkeit fand und sich die Augen rieb. Als sie erkannte, dass sie in der Wolfshöhle lag, blieb sie ernüchtert niedergeschlagen und einsam zurück. Der rotbraune Warg, der neben ihr schlief, bemerkte von ihrer Trauer nichts. Dumpfes Ding, dachte der Warggeist von seinem Artgenossen. Er selbst wäre der bessere Gefährte, wenn er noch aus Fleisch und Blut bestünde. Nur zu gern hätte Merlynn Raykas Hand geleckt und sie getröstet. Hatte der Traum denn nur schlechte Gefühle für sie? Dann flammte offenbar die Erinnerung an das goldene Licht in ihr auf, die der Geist mit ihr teilte. Sie spürte eine schreckliche Sehnsucht, die sie nahezu verbrannte. Ich brauche diese Steine!

Und dann bemerkte Merlynn, dass sie doch etwas von der mütterlichen Geborgenheit verspürt haben musste. Denn sie dachte: Einfach nur sein, wie schön. Das habe ich noch nie zuvor erfahren. Das will ich aufs Neue.

Keuchend formte sie aus Magie eine Lichtkugel. Es strengte sie sehr an, obwohl sie das schon so oft gezaubert hatte. Merlynn hatte Mitleid mit ihr. Warum half der Traum nicht, wenn er ihn doch endlich zu ihr schicken durfte? Aber er wusste ja, dass die Träume ein Eigenleben hatten und er noch öfter einen schicken musste, bis alles gesagt war, was Amruielle hatte sagen wollen. Am besten, ich versuche es gleich noch einmal.

Merlynn erkannte voller Freude, dass Amruielle in ihrer schönen Gestalt in dem Traum vorkam.

***

Entzückt betrachtete sie sich im Spiegel. Sie war es und auch wieder nicht. Die Elbin, die zurücklächelte, war wunderschön. Ihre blutroten Haare umspielten in leichten Wellen ihr Gesicht in absolut harmonischer Symmetrie, ohne das Feuermal, das es entstellte. Staunend tastete sie nach ihrer Wange, ihre Haut war weich und makellos. Ihre riesigen, mandelförmigen Augen blitzten voller Vergnügen. Sie hatte ihre rot-schwarze Lederkleidung gegen ein burgunderrotes Spitzenkleid eingetauscht, das ihre weiblichen Formen atemberaubend betonte.

***

Sie träumt gar nicht von ihrer Mutter, sondern wünscht sich diese Gestalt, dachte Merlynn.