Die Drachin und die Vulkanburg

(aus Schattenrausch dem 2. Band der Fantasy-Reihe Die Zauberberschmiedin)

Die Drachin konnte schon von Weitem die schwarzen Türme der Burg sehen, die vor vielen Zeitaltern durch Zauberhand auf einem pulsierenden Vulkan errichtet worden waren. Die Zinnen erinnerten an scharfe Drachendornen und waren durchbrochen von Wehrplatten, die aus hellblauem Eis geschmiedet zu sein schienen. Die Drachenaugen zeigten ihr eine weiße, kalte Burg, die von tiefroten Adern durchzogen war. In dem Berg, auf dem hoch oben die Burg thronte, pochte das Rot, das in Fontänen heiß von innen an die Gipfel klatschte. Ihrem elbischen Auge wäre das Innenleben verborgen geblieben, doch als Feuerdrache konnte sie voller Staunen die Magmaströme verfolgen, die explodierten und die Wände der Burg durchflossen. Sie schienen in einem Kreislauf gefangen, und die Felsen mit glühender Lava zu versorgen. Vor lauter Faszination wäre ihrem sonst so wachsamen Auge fast die kleine Gruppe entgangen, die sich als drei rote Punkte auf den Aschefeldern unaufhaltsam auf die Burg zubewegten.

Verdammte Wargscheiße. Wenn sie Lavilija hinter die hohen Mauern verschleppten, wie sollte Rayka die Lichtelbin befreien? Sie zwang sich, das Geschehen genau zu beobachten, was ihr als Drache schwerfiel. Die Burg schien aus einem Guss zu sein. Vielleicht lag es an der Sicht des Drachen, dass sie weder Eingänge noch Zugbrücke erkennen konnte, als sich plötzlich eine Schar roter Punkte von der Südseite aus der Anlage schälte. Mit drei klopfenden Herzen wagte sie, näher heranzufliegen. Tatsächlich lag eine geöffnete Zugbrücke aus blankem, eiskaltem Material auf schroffem Vulkangestein. Sie glaubte, dass es sich nur um Schattenschimmer handeln konnte. Magischer Werkstoff, den der Gefallene einst aus dem Nihelem mitgebracht haben sollte, als er dort nach der Ewigen Flamme gesucht hatte. Sie hatte davon in den alten Büchern gelesen, und die Goldschmiedin in ihr trachtete mit jeder Faser ihres Seins danach, dieses Wunderzeug in die Hände zu bekommen. Vielleicht konnte sie damit ihr Medaillon vervollkommnen. Die roten Punkte ritten auf ebenso roten Flecken. Ihre Nase verriet ihr, dass es Menschen auf Pferden waren, die auf einem schmalen Geröllpfad zwischen den spitzen Felsen herunterkamen. Der Weg führte in weiten spiralförmigen Schlangenlinien um den Vulkan herum, sodass die kleine Gruppe am Fuße des Berges angelangt war, als die Reiter unten eintrafen.

»Das Empfangskomitee«, seufzte Rayka enttäuscht. Auf irgendeine Weise musste sie mit hinein. Am besten schlüpfte sie ungesehen mit der Gruppe in die Burg. Als Feuerdrache war das unmöglich, sie musste sich rasch etwas einfallen lassen. So flog sie erst einmal außer Sichtweite und nahm ihre Elbengestalt an, um besser denken zu können. Hinter den kahlen Baumgerippen, die am Rande der Aschefelder standen, konnte sie sich kaum verbergen, falls jemand von den Zinnen auf sie herunterschauen sollte. Doch die lagen verwaist unter den schwarzen Flaggen, auf denen in stilisierter Form speiende glutrote Vulkane abgebildet waren. Dennoch kauerte sich Rayka in eine Kuhle und starrte angstvoll den Berg hinauf. Ihre Elbenaugen zeigten ihr nun, dass es zwölf Reiter in schwarz-matten Rüstungen waren, die auf ebenso schwarzen, gewaltigen Kriegsrössern saßen. Sie nahmen die drei in die Mitte. Mit Schrecken erkannte sie, dass die Lichtelbin ohnmächtig zwischen ihren Häschern hing. Die Truppe setzte sich in Bewegung und folgte dem Pfad, der sich zwischen dem zackigen Gestein emporschraubte. Bald waren sie außer Sichtweite. Bis sie auf der anderen Seite ein Stück höher wieder sichtbar wurden, würde es eine Weile dauern. Also Rayka, du Zauberschmiedin, was wirst du tun? Angestrengt dachte sie nach, als sich ein kleiner fahler Aschefalter auf ihre Hand setzte. Seine Fühler kitzelten sie und die filigranen Flügel wirbelten Staub auf. Was so zarte Flügel eines daumengroßen Wesens so vermochten?

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